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Gesundheit

Ein Kommentar zur Sterbehilfe

Ich stehe am Grab meiner Tante. Die Frau, die mich mein Leben lang begleitet und gepflegt hat, liegt nun hier, mit gerade einmal 49 Jahren, sie stand kurz vor ihrem runden Geburtstag. Die vergangenen Monate waren hart, besonders die letzten Wochen. Krebs und Metastasen machten aus einem sehr selbstständigen Menschen einen Pflegefall. Meine Familie und vor allem meine Mutter mussten im letzten halben Jahr schwere Entscheidungen treffen. Erst der Umzug in unsere Nähe, dann in unser Haus. Zuletzt war meine Tante permanent ans Bett gefesselt und verlor Stück für Stück ihre körperliche Selbstständigkeit. Einen Wunsch hat meine Tante dabei immer wieder geäußert: sie wolle so gehen, wie sie es möchte. Das bedeutet würdevoll und mit Stolz, so wie wir sie kannten und liebten.

Aktive Sterbehilfe ist ein heikles Thema. Viele Menschen haben viele Meinungen dazu. Nur erheben Betroffene selten das Wort oder bekommen keine Stimme. Sie sind schlicht zu erschöpft, müde oder überfordert. Viele von uns kennen Krankengeschichten von Freund*innen, Verwandten oder Bekannten. Wir können nachfühlen, Empathie zeigen oder versuchen behutsam aufzuheitern. Den Schmerz hautnah zu erleben, jemanden quälend langsam zu verlieren und einen geliebten Menschen sterben zu sehen, ist besonders. Besonders depressiv, besonders lebensverneinend. Danach an das Thema zu denken und daran, wie viel Leid hätte verhindert werden können, bereitet darüber hin weitere massive seelische Schmerzen. Das alles sind Gründe, warum selten Menschen mit diesem Thema an eine breite Öffentlichkeit treten.

Eine gesellschaftliche Diskussion mit den Betroffenen wäre gerade bei diesem Thema aber extrem wichtig. Deutschlands politische Werte sind immer noch von der Christlich Demokratischen Union geprägt. Dementsprechend ist der deutsche Wertekompass auch noch auf das Hochhalten einer Moral eingestimmt, welcher nicht das Leid und den Frust der Betroffenen, sondern das stupide Einhalten einer einzelnen biblischen Textzeile – du sollst nicht töten – als wichtigste Maßgabe hochhält. Das Christentum welches ich als Konfessionsloser bisher in meinem Leben kennengelernt habe, beruht jedoch vielmehr auf Nächstenliebe und Gemeinschaft. Die CDU scheint dies bloß schon seit Jahrzehnten vergessen zu haben. Die bisherigen Regierungen tragen Verantwortung für das kollektive Leid, welches nicht verhindert worden ist.

In der Bevölkerung gibt es schon länger eine überwiegende Mehrheit für die aktive Sterbehilfe. In einer Umfrage aus dem Jahr 2019 sprachen sich bereits 67% der Befragten für eine Legalisierung aus, 2021 sogar 72%. Das unterstreicht, dass es endlich Zeit ist, hier eine Änderung in der Gesetzgebung vorzunehmen und eine Legalisierung in Deutschland herbeizuführen.

Momentan kann man aktive Sterbehilfe für tausende Euro in der Schweiz in Anspruch nehmen. Das sendet ein Signal aus, dass sogar das Sterben in Deutschland eine Frage der Klasse und des Wohlstandes ist. Sterbehilfe muss jedoch eine individuelle Entscheidung sein, die von jedem Menschen bei klarem Verstand oder per Patientenverfügung schon im vornherein getroffen werden soll. Die Ampel-Regierung hat jetzt die Chance, die Versäumnisse der letzten Jahre zu korrigieren. Im Koalitionsvertrag steht zur Sterbehilfe: „Wir begrüßen, wenn durch zeitnahe fraktionsübergreifende Anträge das Thema Sterbehilfe einer Entscheidung zugeführt wird.“ Auch ich begrüße jede Entscheidung, die einer Legalisierung einen Schritt näher kommt.

Ich möchte mit diesem Text nicht mich oder meine Familie als besondere Held*innen, oder meine Tante als besonders leidend darstellen. Wir, denen ich mit diesem Text Gehör verschaffen möchte, sind eine Familie von vielen, von viel zu vielen. Genau hier ist der so kolossale Fehler der uns seit Jahrzehnten begleitet. Ich versuche deshalb hier auch im Namen aller zu sprechen die solch eine Situation schon einmal erlebt haben und denen die Kraft fehlt, aktiv ihre Stimme zu erheben.

Für eine gerechte und gleiche Gesundheitsversorgung – egal, ob arm oder reich und für die nicht gewerbliche aktive Sterbehilfe als einzige humane Lösung.

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